Progressive Supranukleäre Blickparese (PSP) — Vollständige Symptomübersicht
Vorwort
Die progressive supranukleäre Blickparese (PSP) ist eine seltene, fortschreitende Gehirnerkrankung, die sich bei jedem Menschen etwas anders zeigen kann.
Diese Liste sollte alle Symptome enthalten, die bis heute bei PSP beobachtet wurden — nicht nur aus ärztlichen Untersuchungen, sondern auch aus Berichten von Angehörigen, Pflegenden und Betroffenen selbst. Viele dieser Beobachtungen (z. B. verändertes Schmerzempfinden, hastiges Trinken, Erschöpfung nach kurzer Anstrengung) werden in der Sprechstunde oft übersehen, sind aber für den Alltag entscheidend.
Hinweis: Manche der aufgeführten Symptome sind klinische Zeichen, die von Ärzten bei der Untersuchung festgestellt werden. Sie sind der Vollständigkeit halber aufgeführt.
Wichtig zu wissen:
- PSP beginnt meist in einem engen Bereich des Gehirns
— oft im Mittelhirn oder in den Basalganglien.
- Im Verlauf breitet sich die Schädigung auf immer mehr
Hirnregionen aus.
- Dadurch entstehen neue Symptome, während andere
verschwinden können — nicht weil sie „besser” werden,
sondern weil das betroffene Gehirnareal nicht mehr reagiert.
- Ein Symptom, das bei einem Patienten auftritt, muss
beim nächsten nicht vorhanden sein — und
umgekehrt.
- Kein Mensch zeigt alle Symptome — aber jedes hier
genannte Symptom ist wirklich vorgekommen.
Die Häufigkeitsangaben (sehr häufig, häufig, selten etc.) geben eine Orientierung, wie oft ein Symptom beobachtet wird — ersetzen aber nie die individuelle Beobachtung. Bei verschiedenen PSP-Varianten können die Häufigkeiten stark abweichen.
Diese Liste soll informieren, entlasten und helfen, die Erkrankung besser zu verstehen — nicht beunruhigen.
Vollständige Liste aller bei PSP dokumentierten Symptome
👁️ OKULOMOTORISCHE SYMPTOME
- Vertikale Blickparese
- Schwierigkeiten, den Blick bewusst nach oben oder unten zu richten. Meist beginnt es mit dem Abwärtsblick (z. B. beim Treppensteigen). Wichtig: Die Augenmuskeln sind intakt — das Problem liegt im Gehirn.
- Häufigkeit: Sehr häufig bei PSP-RS; seltener bei PSP-P oder PSP-SL
- Betroffene Hirnregion: Mittelhirn
- Verlangsamte horizontale Sakkaden
- Seitliche Augenbewegungen (z. B. beim Lesen) sind deutlich langsamer als normal.
- Häufigkeit: Sehr häufig
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm und Stirnhirn
- Doppelbilder (Diplopie)
- Ein Objekt wird doppelt gesehen — nicht wegen einer Augenmuskel-Lähmung, sondern weil die Augen nicht mehr exakt zusammenarbeiten.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Mittelhirn
- Verschwommenes Sehen
- Alles wirkt unscharf oder flimmernd — nicht wegen zweier Bilder, sondern durch instabile Blickfixation oder Lidstörungen.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Visuelle Netzwerke im Gehirn
- Makro-Quadratwellen-Jerks
- Plötzliche, kleine Augen-Ruckler während des Starrens, die das Sehen stören. Diese sind objektiv mit Augenbewegungsmessungen nachweisbar.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Mittelhirn
- Plötzlicher Verlust der Leseschärfe (ohne Doppelbilder)
- Ein lesbarer Text wird innerhalb von Sekunden für den Patienten unlesbar, obwohl Abstand, Licht und Augenstellung unverändert bleiben. Dieses Phänomen wurde objektiv von aufmerksamen Angehörigen beobachtet. Es ist neuroanatomisch plausibel, da bei PSP der Edinger-Westphal-Kern im Mittelhirn — zuständig für die automatische Nahakkommodation — geschädigt ist. Bisher wurde es nicht in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben, ist aber als Folge der supranukleären okulomotorischen Dysfunktion bei PSP möglich.
- Häufigkeit: Unbekannt — nicht publiziert, aber objektiv beobachtet
- Betroffene Hirnregion: Edinger-Westphal-Kern im Mittelhirn (plausibel, nicht belegt)
- Konvergenzinsuffizienz
- Beim Blick auf Nahes (z. B. Lesen) drehen sich die Augen nicht mehr nach innen — führt zu Doppelbildern.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Mittelhirn
- Lidöffnungsapraxie
- Unfähigkeit, die Augen willkürlich zu öffnen, trotz intakter Muskulatur. Patienten helfen sich oft mit den Händen oder durch Kopfbewegungen.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
- Blepharospasmus
- Unwillkürliche, krampfhafte Lidverschlüsse — die Augen werden aktiv zugekniffen.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Tiefe Hirnregionen (Basalganglien)
- Epiphora (übermäßige Tränenbildung)
- Starkes Tränen ohne emotionale Ursache — oft durch unvollständigen Lidschluss oder Lidzuckungen.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Nervus facialis (indirekt durch kortikale Steuerstörung)
- Photophobie (Lichtscheu)
- Überempfindlichkeit gegen Licht, die zu Unbehagen oder Schmerzen führt. Betroffene meiden helles Licht oder tragen häufig Sonnenbrillen, auch in Innenräumen.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Visuelle Verarbeitungsnetzwerke, möglicherweise Mittelhirn
🚶 POSTURALE INSTABILITÄT UND BEWEGUNG
- Posturale Instabilität mit Stürzen
- Plötzlicher Verlust des Gleichgewichts mit Stürzen — bei PSP-Richardson-Syndrom oft nach hinten, bei anderen Varianten können Stürze in alle Richtungen erfolgen.
- Häufigkeit: Sehr häufig (bei PSP-RS); selten bis häufig bei anderen Formen
- Betroffene Hirnregion: Mittelhirn
- Raketenzeichen
- Beim Aufstehen richtet sich der Patient kerzengerade auf, ohne den Oberkörper nach vorne zu neigen — dadurch fällt er nach hinten.
- Häufigkeit: Häufig bei PSP-RS
- Betroffene Hirnregion: Mittelhirn und Stirnhirn
- Retrocollis
- Ungewollte Hinterneigung des Kopfes („Kopf in den Nacken gelegt”).
- Häufigkeit: Häufig bei PSP-RS; seltener bei anderen Varianten
- Betroffene Hirnregion: Tiefe Hirnregionen (Basalganglien)
- Anterocollis
- Ungewollte Vorwärtsneigung des Kopfes („hängender Kopf”).
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Vorderer Halsbeuger-Motorpool (kortikal gesteuert)
- Axialer Rigor
- Starke Muskelsteifheit in der Körpermitte — also im Nacken, Rücken und Rumpf. Der Körper fühlt sich „steif wie ein Brett” an und erschwert Biegen, Drehen oder Gehen.
- Häufigkeit: Sehr häufig bei PSP-RS; mäßig häufig bei PSP-P; seltener bei PSP-SL
- Betroffene Hirnregion: Mittelhirn und Basalganglien
- Extrem eingeschränkte Rumpf- und Beinbeweglichkeit (oft unidirektional)
- Durch massive Steifheit können Arme, Beine oder der Rumpf nur noch minimal bewegt werden — manchmal nur in eine Richtung (z. B. Bein lässt sich nicht anheben, aber seitlich schieben).
- Häufigkeit: Häufig im Spätstadium
- Betroffene Hirnregion: Mittelhirn, Basalganglien und motorischer Kortex
- Bradykinesie
- Deutliche Verlangsamung aller Bewegungen — besonders im Rumpf. Alles geht langsamer: Aufstehen, Gehen, Essen.
- Häufigkeit: Sehr häufig
- Betroffene Hirnregion: Basalganglien
- Mikrographie
- Zunehmend kleinere und unleserlichere Handschrift im Schreibverlauf.
- Häufigkeit: Häufig bei PSP-P; seltener bei anderen Varianten
- Betroffene Hirnregion: Basalganglien
- Gang-Freezing
- Plötzliches „Festkleben” der Füße beim Gehen — besonders beim Start, an Türen oder engen Stellen.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn und Mittelhirn
- Tremor
- Feines Zittern beim Halten der Arme oder beim Zielen. Ein klassischer Ruhetremor (wie bei Parkinson) ist bei PSP extrem selten.
- Häufigkeit: Selten (fast nur bei PSP-P)
- Betroffene Hirnregion: Cerebello-thalamo-kortikale Bahnen
- Dystonie
- Ungewollte Muskelkrämpfe mit Fehlhaltungen — z. B. schiefes Gesicht, verdrehter Fuß oder Kopf.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Basalganglien
- Spastische Tetraparese (PSP-PLS-Variante)
- Starke Steifheit und Schwäche in allen vier Gliedmaßen — ohne Muskelabbau (im Gegensatz zur ALS).
- Häufigkeit: Sehr selten
- Betroffene Hirnregion: Primär-motorischer Kortex (Betz-Zellen)
🗣️ BULBÄRE UND SPRACHLICHE SYMPTOME
- Dysarthrie
- Monotone, leise, verwaschene Sprache — oft mit langen Pausen oder abgebrochenen Sätzen. Im fortgeschrittenen Stadium kann es zu scheinbar vollkommenem Verlust der Sprache kommen — die Patienten verstehen meist noch alles, können aber nicht mehr sprechen oder nur noch flüstern.
- Häufigkeit: Sehr häufig
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm und Stirnhirn
- Dysphagie
- Schluckstörung mit erhöhtem Risiko für Lungenentzündung durch Verschlucken.
- Häufigkeit: Sehr häufig (im Spätstadium)
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm
- Verschleimung durch verminderte Schluckfrequenz
- Speichel sammelt sich im Mund und Rachen an, weil der Patient im Ruhezustand zu selten schluckt. Durch Verdunstung wird der Speichel zäh und schleimig, was zu häufigem Räuspern, Husten oder dem Gefühl führt, „ständig verschleimt zu sein”. Ursache ist nicht eine Infektion, sondern ein gestörter automatischer Schluckreflex bei PSP.
- Häufigkeit: Häufig (besonders im mittleren Stadium)
- Betroffene Hirnregion: Bulbäre Zentren im Hirnstamm (Nucleus tractus solitarii, Nucleus ambiguus)
- Starke orofaziale Rigidität („Mund lässt sich nicht öffnen”)
- Extrem starke Muskelsteifheit im Kiefer- und Mundbereich führt dazu, dass der Patient den Mund kaum oder gar nicht öffnen kann — selbst auf Aufforderung oder bei Hunger.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Basalganglien und motorische Hirnrinde
- Freezing beim Sprechen
- Plötzliches „Steckenbleiben” mitten im Satz — der Patient weiß, was er sagen möchte, kann aber nicht weitersprechen.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Supplementär-motorischer Kortex
- Pallilalie
- Wiederholung des letzten Wortes/Silbe durch den Sprechenden selbst: „Ich gehe… gehe… gehe…”
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Linker supplementär-motorischer Kortex
- Echolalie
- Wiederholung von Worten, die gerade jemand anderes gesagt hat.
- Häufigkeit: Sehr selten
- Betroffene Hirnregion: Orbitofrontaler Kortex
- Hastiges orales Verhalten
- Ungewöhnlich schnelles Zuführen von Nahrung oder Flüssigkeit — oft ohne Kauen oder Schlucken zu warten.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Orbitofrontaler Kortex
- Heiserkeit
- Raue, leise oder brüchige Stimme.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm (Nucleus ambiguus)
- Paroxysmale Atemgeräusche (expiratorisches Stöhnen)
- Lauter, unwillkürlicher Grunzlaut beim Ausatmen im Wachzustand.
- Häufigkeit: Sehr selten
- Betroffene Hirnregion: Bulbäre Atemzentren
🧠 KOGNITIVE UND NEUROPSYCHIATRISCHE SYMPTOME
- Dysexekutives Syndrom
- Schwierigkeiten beim Planen, Entscheiden, Umschalten oder Bremsen von Impulsen — z. B. kann der Patient nicht mehr kochen oder Geld verwalten.
- Häufigkeit: Sehr häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
- Bradyphrenie
- Verlangsamtes Denken und Reagieren — es dauert länger, bis der Patient eine Frage versteht oder antwortet.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn-Netzwerke
- Emotionale Reaktionen
- Manche Betroffene zeigen ungewöhnliche emotionale Reaktionen. Dazu gehören Reizbarkeit, schnelle Wutausbrüche, geringe Belastbarkeit und Rückzug ohne erkennbaren Anlass. Diese Reaktionen wirken für Angehörige oft „nicht wie früher“. Es handelt sich nicht um eine psychische Erkrankung, sondern um eine Folge der PSP.
- Häufigkeit: gelegentlich
- Betroffene Hirnregion: vordere und mittlere Bereiche des Stirnhirns sowie tiefere Zentren für Gefühlsverarbeitungm
- Aufmerksamkeitsstörung
- Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit über längere Zeit aufrechtzuerhalten, Ablenkungen auszublenden oder zwei Dinge gleichzeitig zu tun (z. B. Gehen und Sprechen). Führt zu rascher Ermüdung bei kognitiver oder motorischer Doppelbelastung.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Frontalbasale Aufmerksamkeitsnetzwerke (dorsolateraler präfrontaler Kortex, anteriorer cingulärer Kortex)
- Wortfindungsstörung (Anomie)
- Der Patient weiß, was er sagen möchte, kann das passende Wort aber im Moment nicht abrufen. Es entstehen lange Pausen, Umschreibungen („das Ding zum Schreiben” statt „Stift”) oder Frustration.
- Häufigkeit: Sehr häufig bei PSP-SL; selten bei klassischer PSP-RS
- Betroffene Hirnregion: Linker inferiorer frontaler Gyrus und temporofrontale Sprachnetzwerke
- Eingeschränkte kognitive und motorische Belastbarkeit
- Schon nach 10—15 Minuten Anstrengung (Gehen, Sprechen, Übungen) tritt rasche Erschöpfung ein — mit Verschlechterung von Gleichgewicht, Sprache oder Koordination.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn und Basalganglien
- Fatigue (Müdigkeit)
- Überwältigende Erschöpfung, die nicht durch Schlaf verschwindet. Im Gegensatz zur Apathie: „Ich will, aber ich kann nicht.” Wichtig: Abgrenzung zu Depression — bei Fatigue besteht noch Motivation, aber keine Energie.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm und Stirnhirn
- Apathie
- Verlust von Interesse, Initiative und emotionalem Engagement — aus Gleichgültigkeit, nicht aus Erschöpfung. „Mir ist alles egal.”
- Häufigkeit: Sehr häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
- Impulsives, risikobehaftetes Verhalten
- Plötzliches Aufstehen zum Toilettengang, hastiges Trinken, Alleinverlassen der Wohnung — ohne Einsicht in die Gefahr.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
- Aplauszeichen
- Nach Aufforderung, dreimal in die Hände zu klatschen, klatscht der Patient weiter (z. B. 4—6 Mal) und kann nicht stoppen.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
- Depression
- Echte niedergedrückte Stimmung mit Hoffnungslosigkeit und Anhedonie (keine Freude mehr). Abgrenzung: Bei Depression fehlt die Motivation, bei Fatigue die Energie.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn und limbisches System
- Wahn und Halluzinationen (psychotische Symptome)
- Auftreten von Sinnestäuschungen (meist visuelle Halluzinationen) oder Wahnvorstellungen (z. B. der Glaube, bestohlen zu werden oder dass der Partner untreu ist). Diese Symptome sind bei PSP oft medikamenteninduziert (durch Levodopa, Amantadin oder andere Dopaminergika), können aber auch direkt durch die Erkrankung im Spätstadium auftreten. Im Vergleich zur Lewy-Körperchen-Demenz sind sie seltener ein Leitsymptom.
- Häufigkeit: Selten (als Primärsymptom); häufiger als Medikamentennebenwirkung
- Betroffene Hirnregion: Temporallappen, Stirnhirn, visuelle Assoziationsrinden
- Pseudobulbärer Affekt
- Unwillkürliches Lachen oder Weinen ohne passende Gefühlslage.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn-Hirnstamm-Verbindungen
- Katatonie-ähnliche Symptome
- Regungslosigkeit, Mutismus, Wachsflexibilität — wirkt wie „eingefroren”, obwohl wach.
- Häufigkeit: Sehr selten
- Betroffene Hirnregion: Tiefes Stirnhirn
🤏 PRIMITIVE REFLEXE
- Greifreflex
- Automatisches Greifen bei Berührung der Handfläche — wie bei Säuglingen.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
- Saugreflex
- Saugbewegung bei Berührung der Lippen.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
- Snout-Reflex
- Lippenbewegung bei Streichen über die Oberlippe.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
- Babinski-Zeichen
- Großzehe hebt sich beim Streichen am Fußsohlenrand — Zeichen einer Schädigung der Nervenbahnen vom Gehirn.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Corticospinale Bahnen
- Palmomentalreflex
- Kinnmuskel zuckt beim Streichen der Handeninnenfläche.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
- Glabella-Reflex (persistierend)
- Ununterbrochenes Blinzeln beim Klopfen auf die Nasenwurzel.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Stirnhirn
🩺 SENSORIK UND SCHMERZ
- Sensibilitätsstörung
- Manche Betroffene nehmen Berührungen, Temperatur oder Schmerzen verändert wahr. Das Körperempfinden kann „taub“, „nicht richtig spürbar“ oder „überempfindlich“ wirken. Auch Schmerzen können stärker oder schwächer empfunden werden als üblich. Diese Veränderungen betreffen das Spüren, nicht die Kraft oder Bewegung, und können das Gleichgewicht, die Körperpflege oder das Schmerzverhalten beeinflussen.
- Häufigkeit: Selten (v. a. bei bestimmten Verlaufsformen wie PSP-CBS oder PSP-SL)
- Betroffene Hirnregion: vSomatosensorischer Kortex im Parietallappen (hinterer Bereich des Scheitellappens, oberhalb und hinter dem Ohr) und subkortikale Strukturen wie der Thalamus.
- Propriozeptive Störung
- Verminderte Wahrnehmung der Körperstellung im Raum — z. B. „Ich weiß nicht, wo meine Füße sind”. Führt zu unsicherem Gang.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Parietallappen
- Muskelschmerzen (zervikal)
- Chronische Nacken- und Rückenschmerzen durch Daueranspannung.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Somatosensorisches System
- Thermoregulationsstörungen
- Übermäßiges Frieren oder Kälteintoleranz, seltener Hitzeintoleranz.
- Häufigkeit: Selten bis häufig
- Betroffene Hirnregion: Hypothalamus
🫀 AUTONOME SYMPTOME
- Schwindel / Gleichgewichtsunsicherheit
- Vage, persistierende Unsicherheit im Stehen oder Gehen — oft sehr früh, vor den Stürzen.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Mittelhirn und Hirnstamm
- Orthostatische Hypotonie
- Blutdruckabfall beim Aufstehen → Schwindel oder Schwarzwerden vor Augen.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm
- Harninkontinenz / -retention
- Plötzlicher Harndrang oder Schwierigkeiten beim Entleeren.
- Häufigkeit: Häufig (im Spätstadium)
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm und Stirnhirn
- Obstipation (Verstopfung)
- Verminderter Stuhlgang mit harter Konsistenz, oft verbunden mit Völlegefühl und erschwerter Darmentleerung. Tritt unabhängig von Medikamenteneinnahme auf, kann aber durch Parkinson-Medikamente (z. B. Levodopa) oder anticholinerge Substanzen (z. B. Spasmex®) verstärkt werden.
- Häufigkeit: Sehr häufig (in Studien bei bis zu 70 %)
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm-Autonomiezentren (Nucleus tractus solitarii, dorsaler vagaler Kern)
- Diarrhö
- Gelegentlicher wässriger Stuhlgang — oft im Wechsel mit Verstopfung.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm (autonome Dysregulation)
- Gewichtsverlust
- Oft beobachtetes Symptom in der späteren Phase. Die Ursache ist vermutlich die zunehmende Schwierigkeit bei der Nahrungsaufnahme (durch Schluckprobleme, Rigidität im Mundbereich) sowie der erhöhte Energieverbrauch durch die krankheitsbedingte Muskelsteifheit — der Körper muss ständig „gegen die Steifheit arbeiten”.
- Häufigkeit: Häufig (besonders im mittleren bis späten Stadium)
- Betroffene Hirnregion: Hypothalamus, Hirnstamm
- Hyperhidrose
- Unangemessen starkes Schwitzen am ganzen Körper.
- Häufigkeit: Selten (einstelliger Prozentbereich)
- Betroffene Hirnregion: Hypothalamus
- Episodisches Fieber
- Kurzfristige Temperaturerhöhung ohne Infekt.
- Häufigkeit: Einzelfall
- Betroffene Hirnregion: Hypothalamus
😴 SCHLAFSTÖRUNGEN
- Lebhafte Träume, Albträume oder RBD-ähnliche Phänomene
- Können bei PSP neurodegenerativ bedingt sein (seltene RBD), aber auch medikamenteninduziert. Besonders Amantadin (wegen dopaminerger/NMDA-Wirkung) und anticholinerge Medikamente wie Spasmex® (Trospiumchlorid) — besonders in Kombination — können zu lebhaften Träumen, Schlafstörungen oder Verwirrtheit führen.
- Häufigkeit: Selten (neurodegenerativ); häufiger bei Medikation
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm und limbisches System
- Fragmentierter Schlaf / nächtliches Erwachen
- Häufiges Aufwachen in der Nacht — oft durch Steifheit, Schmerzen, Harndrang oder Atemprobleme. Führt zu Tagesmüdigkeit.
- Häufigkeit: Häufig (im mittleren bis fortgeschrittenen Stadium)
- Betroffene Hirnregion: Hypothalamus, Hirnstamm (Schlaf-Wach-Regulation)
- Tagesschläfrigkeit
- Unwiderstehliches Bedürfnis einzuschlafen am Tag — unabhängig von nächtlichem Schlaf. Oft Folge der PSP-typischen Müdigkeit (Fatigue) und gestörten Schlafarchitektur.
- Häufigkeit: Häufig
- Betroffene Hirnregion: Aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem, Hypothalamus
- REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD)
- Im Traumschlaf werden Träume körperlich ausgelebt — Schreien, Schlagen.
- Häufigkeit: Selten
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm
🔬 SELTENE PHÄNOMENE
- Palataler Tremor
- Rhythmische Zuckungen des weichen Gaumens mit hörbarem Klicken im Ohr.
- Häufigkeit: Einzelfall
- Betroffene Hirnregion: Hirnstamm und Kleinhirn
- Zerebelläre Ataxie
- Torkelnder Gang, unsichere Handbewegungen — typisch für PSP-C-Variante.
- Häufigkeit: Sehr selten
- Betroffene Hirnregion: Kleinhirn
- Alien-Hand-Syndrom
- Eine Hand scheint ein Eigenleben zu führen — z. B. greift sie Dinge, ohne dass der Patient es will.
- Häufigkeit: Sehr selten (fast nur bei PSP-CBS-Variante)
- Betroffene Hirnregion: Posteriores Stirnhirn
💊 Wichtige medikamentöse Einflüsse
Symptomverstärkung durch Medikamente:
- Anticholinerge Gesamtlast: Spasmex®, Atropin, trizyklische Antidepressiva können Verwirrtheit, Schlafstörungen und kognitive Verschlechterung verstärken
- Levodopa: Kann Dyskinesen, Halluzinationen oder Impulskontrollstörungen auslösen
- Amantadin: Lebhafte Träume, Verwirrtheit, Halluzinationen (besonders in Kombination mit Anticholinergika)
- Neuroleptika: Können Steifheit und Beweglichkeit massiv verschlechtern
- Benzodiazepine: Verstärken Sturzrisiko und kognitive Beeinträchtigung
Medikamentenwechselwirkungen bei PSP-typischen Medikamenten:
- Spasmex® + Amantadin: Besonders problematisch für Schlaf und Kognition
- Mehrfach-Anticholinergika: Additive Effekte auf Verwirrtheit und Obstipation
⚠️ Wann sollten Sie den Arzt kontaktieren?
Sofortige ärztliche Hilfe:
- Plötzliche schwere Schluckprobleme mit Hustenanfällen
- Stürze mit Verletzungen
- Akute Verwirrtheit oder Halluzinationen
- Atemprobleme oder pfeifende Atemgeräusche
- Fieber ohne erkennbare Ursache (Aspirationspneumonie?)
Zeitnahe Vorstellung beim Arzt:
- Neue oder sich verschlechternde Symptome
- Probleme mit der Medikamenteneinnahme
- Zunehmende Schlaf- oder Verhaltensstörungen
- Gewichtsverlust > 3 kg in 4 Wochen
- Neue Schmerzen oder Steifheit
📝 Wichtige Beobachtungen für Angehörige
Besonders dokumentierenswerte Phänomene:
- Zeitpunkt und Auslöser von Stürzen
- Schluckschwierigkeiten: Bei welchen Speisen/Getränken?
- Tageszeit-abhängige Symptome: Morgens vs. abends
- Medikamentenwirkung: Besserung oder Verschlechterung nach Einnahme
- Kognitive Schwankungen: Gute und schlechte Tage dokumentieren
- Neue Verhaltensweisen: Auch scheinbar harmlose Änderungen
Hilfreich für den Arztbesuch:
- Symptomtagebuch: Datum, Uhrzeit, Situation, Dauer
- Videoaufnahmen: Von Gang, Sprache, Handbewegungen (mit Einverständnis)
- Medikamentenliste: Alle Medikamente mit Dosierung und Einnahmezeiten
📊 Verlaufsmuster nach PSP-Varianten
PSP-Richardson-Syndrom (PSP-RS) - Klassische Form:
- Früh: Stürze nach hinten, Blickparese, axialer Rigor
- Typisch: Retrocollis, Raketenzeichen, frühe kognitive Probleme
- Verlauf: Meist rasche Progression
PSP-Parkinsonismus (PSP-P):
- Früh: Asymmetrisches Parkinson-Syndrom, manchmal Tremor
- Typisch: Besseres L-Dopa-Ansprechen initial, später PSP-typische Zeichen
- Verlauf: Langsamere Progression als PSP-RS
PSP-Sprachdominante Form (PSP-SL):
- Früh: Sprach- und Wortfindungsstörungen
- Typisch: Weniger motorische Symptome, mehr kognitive Probleme
- Verlauf: Variable Progression
PSP-Kortikobasale Syndrom (PSP-CBS):
- Früh: Asymmetrische Dystonie, Apraxie
- Typisch: Alien-Hand-Phänomen, cortikale sensorische Störungen
- Verlauf: Oft langsamere Progression
PSP-Zerebelläre Form (PSP-C):
- Früh: Gang-Ataxie, Koordinationsstörungen
- Typisch: Zerebelläre Zeichen dominieren
- Verlauf: Sehr selten, meist langsamerer Verlauf
💡 Schlusswort
Diese umfassende Liste soll helfen, PSP in all ihren Facetten zu verstehen. Jeder Patient ist einzigartig, und nicht alle Symptome treten bei jedem auf. Die Auflistung dient der Information und soll das Verständnis für diese komplexe Erkrankung fördern.
Wichtig: Diese Liste ersetzt niemals die ärztliche Beratung. Bei Fragen zu Symptomen oder Behandlungsmöglichkeiten wenden Sie sich immer an Ihren behandelnden Neurologen oder ein PSP-Zentrum.
Die Wissenschaft zu PSP entwickelt sich ständig weiter. Neue Erkenntnisse können zu Ergänzungen oder Änderungen dieser Liste führen.